Berliner Persönlichkeiten zeigen ihren Kiez

Volker Meyer-Dabisch entdeckt Schöneweide mit dem Rad

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Der Schauspieler und Regisseur bringt uns als "Caveman" und "Superdaddy" auf der Bühne zum Lachen, in seinen Filmen porträtiert der Wahl-Berliner hiesige Kieze durch ihre Persönlichkeiten. Für eine dieser Dokus verschlug es Meyer-Dabisch auch nach Schöneweide, das wir mit ihm neu entdecken.

Schon über 30 Jahre wohnt Volker Meyer-Dabisch in Berlin und trotzdem hat er im Jahr 2013 das erste Mal einen Fuß auf Schöneweider Boden gesetzt. Dass er diesen Ortsteil im Südosten der Stadt jetzt besser kennt, hat Meyer-Dabisch mit seiner Dokumentation „Von Hohenschönhausen nach Niederschöneweide“ selbst provoziert.

Alles begann mit einer Recherche für den Radiosender multicult.fm, wo Meyer-Dabisch damals ehrenamtlich moderierte. Nach Schöneweide verschlug es ihn zu dieser Zeit für einen Beitrag zum Thema Neonazis. Die Idee, unentdeckte Ortsteile wie diesen zu erkunden, gefiel dem Filmemacher. Also schwang er sich aufs Fahrrad und tourte 30 Tage lang durch Schöneweide, das zu oft nur im Zusammenhang mit Rassismus in die Medien gerät und durch Hohenschönhausen mit seiner Stasi-Vergangenheit. In einem Fahrradanhänger immer dabei: Kamera, Mikrofon und ein Stuhl, mit denen Meyer-Dabisch auf seinem Weg durch die wenig populären Kieze Anwohner interviewte und besondere Orte entdeckte.

Zum Beispiel das Café Schöneweile, in dem wir uns treffen. Als wir ankommen, sitzt Meyer-Dabisch schon an einem der Tische vor der Tür, in der einen Hand einen Tee, in der anderen eine Zeitung und genießt die Nachmittagssonne. Einer der Protagonisten seiner Doku hat gesagt, dass es dort den besten Kaffee in der Gegend gäbe. Auch die Außenfassade verspricht „Kaffee, der nicht wie braunes Wasser schmeckt“ – dem stimmen wir nach einem Cappuccino absolut zu. Meyer-Dabischs Empfehlung des Tages ist aber eine andere: er probiert Onigiri (gefüllte Reisecken), die in der Edisonstraße hergestellt werden. Unser Kiezführer ist so begeistert, dass er bei diesem japanischen Snack gleich zwei Mal zuschlägt.

Schöneweide: neugierig, positiv und immer was Neues

Und überhaupt: „Schöneweide ist für mich ein Ort der Entdeckungen“, erzählt der gebürtige Westfale. Die Doku „Von Hohenschönhausen nach Niederschöneweide“ ende hier, weil Schöneweide einen positiven Ausblick biete, einen „Drive nach vorne“, lässt er uns wissen. Als der Dreh im Jahr 2013 begann, da gab es den Henker noch, die berüchtigte Nazikneipe in der Brückenstraße. Und natürlich hatte auch Meyer-Dabisch das Klischee vom rechtsradikalen Schöneweide im Kopf. Bestätigt hat es sich für ihn nicht. „Ich habe immer auch Nazis gesucht, aber nie wirklich welche gefunden“, sagt er. Gespräche über rechtsradikale Gewalt im Kiez hat der Regisseur trotzdem geführt und weiß: „Nazis sind sicher noch da, nur nicht so präsent.“

Stattdessen gibt es in dem Film andere Protagonisten: Künstler, Geschäftsmänner, Jugendliche. Das besondere an ihnen: „Die Leute in Schöneweide hören einem zu. Sie sind daran interessiert, was man macht und nicht so übersättigt“, fasst Meyer-Dabisch seine Eindrücke zusammen. Besonders beeindruckt sei er von einem Spielgeräteverleiher aus dem FEZ gewesen, der in der Doku erzählt, wie er 1988 aus der DDR floh, um zwei Jahre nach einer spektakulären Fluchtgeschichte wieder im, mittlerweile bundesdeutschen, Osten zu landen.

Inzwischen kommt Meyer-Dabisch öfter nach Schöneweide, darum ziehen wir weiter zu anderen Orten, die ihm in dem früheren Industriekiez besonders gefallen. Begeistert erzählt er vom Fahr Art Laden in der Rathenaustraße, hält auch an einem Burgerladen in der Wilhelminenhofstraße an. Vor dem „Schalterraum“ offenbart das Multitalent seine heimlichen Qualitäten als Hutmacher. Vor Jahren habe er angefangen, aus Stroh und anderen Naturmaterialien im Urlaub Hüte zu flechten. Einer von ihnen war schon in dem Ausstellungszentrum zu sehen.

Elektrisiert vom Industriecharme

Der Lieblingsort des Wahl-Berliners ist aber der Kaos Club. Etwa zwanzig Künstler sind in den ehemaligen Fabrikhallen am Spreeufer aktiv. „Da hat mich alles total an meine Anfangszeit in Berlin erinnert“, erzählt Meyer-Dabisch. Seine erste Unterkunft hier war eine alte Fabriketage an der Herrmannstraße, so groß, dass der Schauspielschüler manchmal mit dem Fahrrad zum Spülen oder Zähneputzen gefahren ist. Auch auf einem Fabrikgelände in der Kreuzberger Pfuelstraße hat er mal gewohnt. Da verstehen wir schnell, dass ihm der Schöneweider Industriecharme besonders gefällt.

Unser Kiezspaziergang endet auf dem sonnigen Kaisersteg. Wir blicken auf das Gelände des schon wieder geschlossenen Kiki Blofelds, das lange Zeit als Bote der Gentrifizierung im Bezirk gehandelt wurde. Dass der Bezirk sich entwickelt, sei wahr, sagt Meyer-Dabisch. Aber ob hier irgendwann schicke Läden die Mietpreise wuchern lassen, könne er nicht sagen, gibt er zu.

Wir sehen Menschen, die auf der Brücke Möwen füttern, viele nutzen sie als Verbindung nach Niederschöneweide. Wenn Volker Meyer-Dabisch jetzt an Schöneweide denkt, dann hat er nicht mehr das Neonazi-Klischee im Kopf, sondern ein Heimatgefühl im Bauch. Dass er trotzdem nicht hier lebt, liege nur an seiner preiswerten Wohnung direkt neben dem Görlitzer Park, von der aus seine Frau auch nur wenige Minuten zur Arbeit brauche. „Aber irgendwann werde ich ein Hausboot vor dem Kaos Club haben“, lacht Meyer-Dabisch, schwingt sich auf seinen Drahtesel und macht sich, der Sonne entgegen, auf den Weg nach Hause.

Für die Musik in Volker Meyer-Dabischs Film „Von Hohenschönhausen nach Niederschöneweide“ ist übrigens Brother Drege (Django Unchained) verantwortlich! Wer die DVD zur Doku kaufen möchte, kann eine Mail direkt an den Regisseur schicken. Seine anderen Kiez-Dokumentarfilme gibt’s online zu sehen: „Love, Peace and Beatbox“ (aufgeführt bei der Berlinale 2008) führt in den Kosmos des Beatboxing ein, „Der Adel vom Görli“ porträtiert das Leben am Görlitzer Park, und „Open Souls“ widmet sich ‚Mischlingskindern‘ von amerikanischen GIs und deutschen Frauen.

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Café Schöneweile, Reinbeckstraße, 12459 Berlin

Telefon 0179 1127110

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Von außen: das alte Pförtnerhäuschen.

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