Nehmen wir an, Berlin sei eine Gourmet-Metropole, heute. Aber wie hat das angefangen? Vermutlich mit den unfassbar protzigen Gelagen der Kaiserzeit, als der „Kaiserkeller“ in der Friedrichstraße innerhalb eines Jahres 400.000 Pfund Fleisch verbriet, als im „Rheingold“ am Potsdamer Platz 110 Köche für 4800 Gäste kochten und die Besseresser der Stadt den Bestand an Helgoländer Hummern zunichtemachten. Verschwendung, die nie wieder zurückkehrte – und nach zwei Weltkriegen und dem Hunger der Nachkriegsjahre vergessen schien.
In den Ruinen keimte noch einmal ein wenig davon auf, als der legendäre Hotelier Heinz Zellermayer Schieber und Schwarzmarktkönige bewirtete, notfalls mit dem Fleisch von Ziegen, die er auf dem Dachboden seines Hotels am Steinplatz hielt. Das lag aber vor der Blockade, während der, wie Zellermayer sagte, die Gäste „wie Tauben davonflatterten“. Kaum aber waren die Verkehrswege nach Berlin wieder offen, erstand auch das einst berühmte „Restaurant Aben“ wieder, unmittelbar neben dem ausgebombten alten Standort am Kurfürstendamm. Das war der eigentliche Beginn der neuen kulinarischen Zeitrechnung, wenn auch der Aben-Stil mit Kellnern in roten Frackjäckchen, mit Hummer und hausgebeiztem Lachs noch so tat, als sei seit dem 19. Jahrhundert nichts passiert.
Auf Holzkohle gegarte Eier
Den weniger begüterten Berlinern war das egal. Wenn sie überhaupt essen gingen, dann in volkstümlichen Gaststätten wie dem legendären „Hühner-Hugo“ oder beim enorm populären „Wienerwald“. Für die traditionelle, eher ärmliche Berliner Küche, die vor allem in den Kneipen fortlebte, stand der Name „Aschinger“.
Mauerbau statt gehobener Küche
Der Mauerbau 1961 verdarb der gehobenen Gastronomie erneut das Geschäft. Das „Weinhaus Huth“, gerade am Potsdamer Platz eröffnet, musste gleich wieder schließen, und die Stammgäste vieler guter Häuser bestellten keinen Rehrücken mehr, sondern den Umzugswagen. Dennoch blieben die meisten Restaurants an Ort und Stelle, und als 1966 der Guide Michelin seine Sterne für gute Küche erstmals auch in Deutschland vergab, waren vier Berliner Restaurants dabei: Je ein Stern ging an das „Maitre“ in der Meinekestraße, das „Aben“, die „Börsenstuben“ in der Hardenbergstraße und das „Ritz“.
Ein Jahr später wurde die „Giraffe“ in Tiergarten in diesen Kreis aufgenommen, und der Michelin 1969 empfahl noch drei weitere frisch eröffnete Restaurants, nämlich das „Alexander“ an der Ecke Kurfürstendamm/Bleibtreustraße, den „Grill“ im Hotel Berlin und das Hotel Ambassador.
Steak in starken Farben
Eine der wenigen authentischen Quellen über die Berliner Restaurants der Sechziger ist das Buch „Berlin, wie es schreibt & ißt“ von 1967, in dem 61 zum Teil recht bekannte Berliner Autoren wie Wolfgang Neuss oder Heinz Ohff ihre Lieblingslokale beschrieben. Es ruft eine versunkene Welt herauf, in der Vorkriegstraditionen neben neugieriger Feinschmeckerei, fernöstliche Küchenrätsel neben der Lebensgier erster Diskotheken („Big Apple“) standen. Viel davon ist vergessen: beispielsweise Hans Schmidt, der Chefkoch der „Giraffe“, der ein „Rumpsteak Picasso“ in starken Farben erfand, das exzentrisch am Tellerrand drapiert wurde, später auch ein „Steak Op-Art“, und er schmorte literarisch inspirierte „Gänseherzen à la Gantenbein“. Aal grün und Eisbein gab es aber auch.
Suppe vom Leguan und Klapperschlange in Lehm
Viele dieser Zutaten kamen in Dosen oder getrocknet nach Berlin, aber Fischer griff gern zu, wenn in deutschen Zoos mal ein Bär oder ein Zebu übrig war. Selbst in Ost-Berlin wagte man Exotisches: Als die ruhmreiche Fangflotte der DDR mal einen Wal mit nach Hause brachte, wurde er zunächst im ersten „Gastmahl des Meeres“ aufgetischt und dann über die Republik verteilt.
Im „Schlichter“ gastierten Bertolt Brecht und Kurt Tucholsky
Eher bodenständig ging es dagegen im „Schlichter“ zu, das als einziges Vorkriegsrestaurant im Original überlebt hatte, berühmt für Gäste wie Bertolt Brecht, Emil Jannings, Kurt Tucholsky. Friedrich Luft berichtet 1967 zufrieden: „In den vier Schlichter-Stuben scheint die Welt, endlich mal, stehen geblieben zu sein.“ Hans Wasmannsdorf, der Chef, saß immer gleich ganz vorn links und wachte über sein Vorspeisen-Buffet, das aber der Berliner Tradition kaum Platz einräumte.
Gigantische Sahnemengen
Über das „Maitre“ hieß es zu der Zeit, es sei kulinarisch vergleichbar mit französischen Drei-Sterne-Restaurants. Das Kochbuch, das Levy 1980 herausbrachte, wirkt tatsächlich immer noch aktuell, sieht man von den gigantischen Sahnemengen ab, die man damals so hatte. Er resignierte dennoch, aus Gästemangel – das Restaurant schloss 1982. Parallel stieg ein anderer, bodenständigerer Koch zur Berliner Spitze auf: Siegfried Rockendorf, der 1974 Küchendirektor im Schweizerhof wurde. 1981 gründete er „Rockendorfs Restaurant“ in Waidmannslust, das bald den ersten und 1988 den zweiten Stern erhielt.
Zusammen mit seinen Dauerkonkurrenten Karl Wannemacher („Alt Luxemburg“) und Franz Raneburger („Bamberger Reiter“) dominierte er die Berliner Gastronomie bis zur Wende. Er war auch der einzige Berliner Top-Koch, der gelegentlich regionale Traditionen aufnahm und beispielsweise das Berliner Eisbein modernisierte, entfettet, mit Sauerkraut als Füllung und Püree aus frischen Erbsen.
Die Wende in die Hotelküche
Berliner Regionalküche war für niemanden ein Thema. Dennoch tauchte 1997 im „Rosenbaum“ in Prenzlauer Berg ein großspuriger junger Koch auf: Tim Raue. Wenig später kochte er in den „Kaiserstuben“, dann im „E. T .A. Hoffmann“ – immer dabei seine Version vom Berliner Senfei mit Roter Bete und Kaviar. Später wurde er mit asiatisch inspirierter Küche berühmt, bis er für sein „La Soupe populaire“ eine neue Version der Königsberger Klopse entwickelte, die einen wahren Klopse-Boom in Gang setzten.
Mehr Berliner Küche in der Haute Cuisine?
Ob da noch mehr kommt? Vermutlich ist die traditionelle Berliner Küche, die im Grunde eine pommersch-schlesische mit hugenottischen Einflüssen war, dafür nicht reich genug. Statt sie wiederzubeleben, werden gute Köche eine Variante nach skandinavischem Vorbild etablieren, die sich eher an Produkten orientiert. Marco Müller vom „Rutz“ hat die Zwiebelstulle seiner Jugend runderneuert, Daniel Achilles vom „Reinstoff“ nähert sich regionalen Produkten mit alchimistischer Präzision. Spannend ist auch, ob Micha Schäfer vom „Nobelhart & Schmutzig“ mit dem plakativen Spruch „Brutal lokal“ die Szene aufmischen kann. Seine gebackenen Radieschen mit Blutwurst und Petersilie hätten das Zeug dazu.