Eines vorab: Mit Matze gibt es nur eine imaginäre Kiez-Tour. „Kann ich gleich zurückrufen?“, fragt er, Gitarrenmusik im Hintergrund. „Wir machen gerade noch Soundcheck.“ Eine halbe Stunde später ist der 25-Jährige wieder am Apparat, zu Ende geprobt. Gleich geht’s in Dortmund auf die Bühne. Vorher noch schnell ein Interview.
Wie ist denn die Lage Backstage so? Koks und Nutten oder Kamillentee und Ibuprofen? Lachen. Dann hinterhergeschossen: „Koks, Nutten UND Ibu. Das schließt sich ja nicht aus. Das gehört ja praktisch zusammen.“ Geistreich, ein bisschen drüber und immer mal wieder aufs Maul – das gilt auch für die Texte der Band. Es sind Alltagsfragmente von Menschen, die Zwanzigirgendwas sind, Berlin-Geschichten in Musik und Ironie gekleidet. Auszug aus Meine Kneipe:
„Schneid dir die Haare, mach jetzt Ballett, schmeiß doch dein Studium, oder werd plötzlich fett.
Hass deinen Bruder, lieb die AfD, zieh doch nach Brooklyn oder Fürstenwalde Spree.“ Später dann die Pointe: „Mach, was du willst, ABER BRING NIE WIEDER DEINE NEUEN FREUNDE IN MEINE KNEIPE!“
Hipsterschwemme: Nein danke. Die besungene Kneipe gibt es wirklich, wie vieles in den Texten, die Matze schreibt. „Das meiste sind Alltagsbeobachtungen, viel ist tatsächlich so passiert, einiges ist aber auch dazu gedichtet.“ Und wie ist das mit den oft besungenen Frauen? Wirklich viele Texte adressieren ein weibliches ‚Du‘. Real oder nicht? „Von allem ein bisschen“, sagt der Gentleman und schweigt.
Verkappte Hipster-Cafés? Boykottieren!
Aber zurück zur Kneipe. Wo bitte in Berlin steht die denn jetzt? Das verrät der Sänger nicht. In Steglitz, wo die fünf Mittzwanziger-Jungs von Von wegen Lisbeth eigentlich herkommen, jedenfalls nicht. „Da gibt es keine Kneipen.“ Immerhin verrät Matze, mittlerweile in Neukölln wohnend, dass die Kneipe irgendwo innerhalb des Rings ist, in einem Angesagt-Viertel. „Es ist eine schön schäbige Berliner Eckkneipe. So richtig nice.“ Stichwort Angesagt-Viertel. Hat er einen Hass-Ort in Neukölln? Er muss keine Sekunde überlegen. „An der Hermannstraße gibt es einen Getränkeladen. Die bieten eine Weinverkostung an, draußen steht eine Tafel, die das ‚Getränk der Woche‘ preist. Und dann tun die ernsthaft so, als wären die ein Späti, sind aber eigentlich ein verkapptes Hipster-Café und haben noch nicht mal Sterni! Das boykottiere ich.“
Keine Frage: Haten kann Matze. Für einen Berliner eigentlich auch nichts neues. Dann mal gucken, was das Reizwort Zugezogen in ihm auslöst. „Naja, im Grunde können die ja nix dafür. In schwachen Momenten denk ich mir manchmal selbst, dass ich wohl auch hergekommen wär, wäre ich nicht von hier. Aber eigentlich will ich mir dieses Horror-Szenario gar nicht ausmalen.“
Dann erzählt er, dass ihn eine Sache wirklich, also wirklich, wirklich und null ironisch, ärgere: „Was in Neukölln und Berlin gerade mit den Mieten abgeht, ist schon krass. Da wird dir dann eine Zwangs-Renovierung aufgebrummt und Balkone gebaut, die keiner will. Davon ist mein ganzer Freundeskreis betroffen. Da läuft echt was falsch mit der Wohnungspolitik. Und auch die Döner-Problematik prangert er an. „Der Döner wird immer teurer. Das kann ich statistisch beweisen, ich erhebe das in großer Regelmäßigkeit. Das geht viel zu schnell in viel zu kurzer Zeit.“
Die beiden Heimspiele Ende Januar/Anfang Februar im Lido sind schon lange ausverkauft, im September dann, zum Tourabschluss, gibt es noch ein Konzert im SO36. „Das ist schon ein bisschen verrückt. Das sind die Clubs, in die wir selbst gehen, wo unsere Freunde rumrennen. Und jetzt stehen wir da auf der Bühne.“ Schiss oder ein komisches Gefühl kriegt er aber nicht, wenn er an den neuen Fame denkt: „Wir machen ja schon seit der siebten Klasse zusammen Musik. Das ist nichts Neues für uns. Nur dass die Leute plötzlich unsere Lieder mitsingen können – und zu unseren Auftritten tatsächlich jemand kommt.“
„Indie finde ich durch die Bank weg scheiße“
Die Band, zu der neben Matze (Gesang, Gitarre) noch Julian Hölting (Bass), Robert Tischer (Synthi), und die Brüder Doz und Julian Zschäbitz (Gitarre/Schlagzeug) spielen, macht übrigens in Matzes Augen kein Indie. „Das ist schon irgendwie eine Beleidigung“, lacht er und erklärt: „Alle Bands, die mir jetzt einfallen und die Indiemusik machen, finde ich durch die Bank weg richtig scheiße.“ Er überlegt kurz. Die Bezeichnung Pop fände er ganz in Ordnung. Obwohl: „Irgendwie verbindet man mit Pop ja auch viel Scheiße.“ Und, wie findet er andere Berliner Bands, die Hip-Hopper Zugezogen Maskulin zum Beispiel? Oder die Ton-Steine-Scherben-2.0 (=Isolation Berlin)? „Die feiere ich beide sehr. Die finde ich extrem geil.“
Vielleicht ist es mit Von wegen Lisbeth so: Sie machen Musik für Hipster, die keine Hipster sein wollen (wer will das schon?). Vielleicht auch deshalb, weil sie selbst angehipstert sind, ohne es sein zu wollen. Was wahrscheinlich DIE einzige wirkliche Gemeinsamkeit aller Hipster ist. Ist am Ende auch egal. Denn die Lisbeths können was, liefern vielleicht sogar ein, zwei Antworten auf die hochphilosophische Frage, was das bloß für 1 Life sei („Woher ich Dich kenne? Ich hab‘ keinen blassen Schimmer, aber Deine neue Handynummer“ aus dem Lied Sushi) und nailen deshalb den Scheiß – exakt: „wirklich nice“.