Bist du ein Nazi? André –-19 Jahre, Kurzhaarschnitt, um den Hals ein Thorshammer-Kettchen – stutzt. Die Sonne knallt auf Hellersdorf, 30 Grad, windstill. André setzt sich in einen schattigen Hauseingang in der Maxie- Wander-Straße. Nazi sei er nicht, auch wenn der Thorshammer ein bei Rechtsextremen beliebtes Germanensymbol ist. Worauf die Frage abzielt, merkt André schnell: Ein paar Schritte weiter steht Deutschlands bekanntestes Flüchtlingsheim. Vor einem Jahr zogen in eine leere Schule in der Carola-Neher-Straße, Ecke Maxie-Wander-Straße 200 Flüchtlinge ein. Neonazis wollten das verhindern. Linke kamen zum Schutz der Flüchtlinge. Behelmte Polizisten rückten an, Fernsehteams filmten, ein Anwohner zeigte den Hitlergruß – das schlechte Image wird der Bezirk seitdem schwer los.
Im Heim selbst ist viel passiert. In der einstigen Schule sind Wände in Flure eingezogen worden, jede Familie hat nun ein eigenes Bad. Ein Nachbargebäude wurde saniert, inzwischen leben hier 400 Frauen, Männer und Kinder. Die meisten kommen aus Syrien, Ägypten, Irak und Afghanistan, außerdem Roma vom Balkan und Kaukasier aus Russland.
Vermisste Räder werden im Heim vermutet
Über den Hof rennen Kinder, malen mit Kreide, kreischen in der Sonne – was Kinder so machen. Einige Nachbarn haben sich darüber beschwert. Dabei war es viel lauter, als das Haus noch eine Schule war. Martina Wohlrabe, die Heimleiterin, ärgert sich besonders über Fälle wie diese: Wenn Fahrräder im Viertel gestohlen werden, klingeln Betroffene beim Heim – und sagen, sie müssten nachschauen, ob die Räder hier versteckt seien. Einige Bewohner berichten, dass man ihnen beim Einkaufen in den Supermärkten zwar distanziert, aber nicht aggressiv begegne. Ältere Nachbarn bringen Bücher und Spielzeug vorbei, Volkshochschullehrer geben Deutschkurse. „Wir können schon von so etwas wie Normalität sprechen“, sagt Wohlrabe. Vier Sozialarbeiter, die auch Arabisch oder Serbokroatisch sprechen, kümmern sich um die Bewohner. Zwei Betreuerinnen beschäftigen sich mit den 100 Kindern im Heim, 30 davon gehen in Schulen der Umgebung.
Seit einem Jahr ist auch „Hellersdorf hilft“ aktiv, ein Verein, der sich rassistischer Stimmungsmache sofort entgegengestellt hat. „Es gab viele Bewohner, die Ängste hatten, die sich mobilisieren ließen“, sagt Sprecher Stephan Jung. Und wer bislang NPD gewählt habe, werde es womöglich selbst dann wieder tun, wenn sich die Flüchtlinge völlig unkompliziert integrierten. „Aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich Ängste durch Begegnungen abbauen lassen.“ Ähnliches berichtet Sozialstadträtin Dagmar Pohle (Linke). Weil es vor einem Jahr hieß, der Bezirk habe die Anwohner übergangen, hat Pohle vor ein paar Monaten allen Haushalten im Kiez einen Brief geschickt, um den Einzug neuer Flüchtlinge anzukündigen. „Langfristig wünsche ich mir aber, dass diejenigen, die bleiben, in eigene Wohnungen können.“
Man braucht gute Gründe
Am 24. September soll es auf einem Platz in der Nähe ein Nachbarschaftsfest geben. Dazu lädt auch die PeWoBe ein, das Unternehmen, das das Heim im Auftrag des Senats betreibt. Neben dem Heim sollen sich dort Sportvereine, Jugendclubs und Wohnungsgesellschaften den Anwohnern vorstellen. Einige im Bezirk kennen das Heim sogar schon von innen, dabei stammen sie aus Marzahn und nicht aus Mossul: Als im Mai ein Mann in Marzahn mit Gaskartuschen hantierte, löste er eine Explosion aus. Ein Hochhaus musste geräumt werden, einige Mieter kamen im Heim in der Maxie-Wander-Straße unter, wo gerade ein paar Zimmer frei waren.
Wie es weitergeht? Ein Nachbar – Typ: ordnungsliebender Gregor-Gysi-Fan – sagt: „Die Nazi-Lumpen bleiben weg, wenn genug Bürger zusammenstehen.“ Ein Syrer aus dem Heim, der sich auf den Weg zur U-Bahn gemacht hat, setzt sich noch kurz in den Schatten vor ein nahes Einkaufszentrum und trinkt mit einem Freund ein kühles Bier. André sagt: „Das hole ich mir jetzt auch. Das Heim bleibt, ditt steht fest. Gibt Schlimmeres.“