Befragung der Direktkandidaten (9)

Ressentiments im Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf

Eine Seite von Hellersdorf: Teilnehmer einer Protestkundgebung am 21. August mit Plakaten gegen eine Kundgebung der Bürgerbewegung pro Deutschland.
Eine Seite von Hellersdorf: Teilnehmer einer Protestkundgebung am 21. August mit Plakaten gegen eine Kundgebung der Bürgerbewegung pro Deutschland.
QIEZ hat den Direktkandidaten auf den Zahn gefühlt und nach ihren Vorstellungen für die kiezige Zukunft gefragt. Beispiel: Das Flüchtlingsheim in Hellersdorf. Inwiefern darf die Politik auf Ressentiments der Bevölkerung gegen neue Asylbewerber eingehen?

CDU: Monika Grütters

Ich habe großes Verständnis für den Wunsch vieler Bürgerinnen und Bürger in der Umgebung der Carola-Neher-Straße, über die Veränderungen in ihrem Wohnumfeld informiert zu werden. Dazu sollte eine Anwohner- und Informationsveranstaltung dienen, bei der die AnwohnerInnen dann aber kaum zu Wort kamen, sondern stattdessen Rechtsextremisten und ihre politischen Gegner von der Linken sich gegenseitig niederbrüllten. Diese gezielte politische Instrumentalisierung der Situation vor Ort hat sich in den vergangenen Tagen und Wochen leider dramatisch zugespitzt.

Deshalb bin ich sehr froh, dass sich zumindest die demokratischen Parteien ganz klar dazu bekannt haben, den Wahlkampf nicht auf dem Rücken der Flüchtlinge auszutragen. Im Gegenteil: alle Kandidaten im Bezirk Marzahn-Hellersdorf haben eine gemeinsame Erklärung erarbeitet, in der sie ihre Unterstützung für die Flüchtlinge dokumentieren.

Das war ein wichtiger und richtiger Schritt.

Natürlich gilt es, auf die Sorgen der Anwohnerinnen und Anwohner einzugehen.

Wenn sich in meinem unmittelbaren Wohnumfeld eine ähnlich bedeutende Veränderung ergeben würde, wäre auch mir die frühzeitige und umfassende Information wichtig. Deshalb ist es gut, dass jetzt die Anwohnerinnen und Anwohner gezielt angeschrieben werden, um auf echten Anwohnerversammlungen offen Fragen diskutieren zu können.

Meinem Eindruck nach unterscheiden sich die geäußerten Vorbehalte der Anwohner in Marzahn-Hellersdorf nicht so sehr von den Problemen, die zum Beispiel bei der Einrichtung des Hauses in der Soorstraße in Charlottenburg öffentlich wurden. Dort ist es gelungen, die Sorgen zu kanalisieren und viele Anwohnerinnen und Anwohner offensiv einzubinden.

Ich bin überzeugt, dass wir den Menschen mit ihren Nöten zuhören und auf diese eingehen müssen. Wenn wir Vorbehalte leichtfertig vom Tisch wischen, werden Anwohnerinnen und Anwohner nicht für ein solches Projekt gewonnen, und dadurch hätten es auch die Flüchtlinge schwerer. Es ist Teil politischer Verantwortung, den Anwohnerinnen und Anwohnern zu erklären, was genau sie erwartet und warum eine Flüchtlingsunterkunft in ihrer Nachbarschaft ausgewählt wurde. So können dann auch beide Seiten aufeinander zugehen.

Natürlich mag es den einen oder anderen geben, der eine Unterbringung von Flüchtlingen in seiner Nachbarschaft generell ablehnt. Mir begegnen aber im Wahlkreis derzeit viel mehr Menschen, die grundsätzlich befürworten, dass Deutschland und auch ihr Bezirk den Schwachen und Verfolgten Schutz bietet.

Darüber hinaus wünsche ich mir, dass nun bald eine Normalisierung der Situation vor Ort eintritt. Denn solange das Flüchtlingsheim als Austragungsort der Kämpfe politischer Extreme dient, von der Polizei bewacht werden muss und dabei unter medialer Dauerbeobachtung steht, werden AnwohnerInnen und Flüchtlinge nicht unbeschwert aufeinander zugehen können.

 

 

 

 

 

 

Piratenpartei: Björn Glienke

Aufgabe „der Politik“ ist es unter anderem, Verwaltungshandeln zu erklären. Dazu gehört in dem konkreten Fall auch, die getroffenen Entscheidungen und Prozesse sinnvoll darzulegen. Dies ist im ersten Versuch klar gescheitert. Inzwischen gibt es andere Ansätze vor Ort, die zielführender sein dürften, auch wenn schon viel Zeit verschenkt wurde.

Das sich daraus eine normale Willkommenskultur entwickelt, ist in Ansätzen ja auch schon sichtbar und wird sich hoffentlich zukünftig weiter positiv weiterentwickeln. Existierende und im konkreten Fall auch angeschürte Vorurteile auszuräumen und mit der weit davon weg liegenden Realität abzugleichen, ist ein Vorgehen, was ich ebenso von politisch Verantwortlichen erwarte, wie das Bekenntnis zum grundgesetzlich verankerten Grundrecht auf Asyl.

Außerhalb demokratischer Forderungen ist es meines Erachtens für politisch und demokratisch agierende Menschen, über den Einzug von Nachbarn abstimmen zu wollen. Egal wer bei mir ein, zwei oder drei Häuser weiter einzieht, wäre die Forderung nach einer Abstimmung dazu äußerst merkwürdig.

Ein Land, dass seine wirtschaftliche Stärke zu einem Großteil durch den weltweiten Handel erreicht, hat ebenso weltweite Verantwortung.

Menschen, die vor Krieg, Mord und Verfolgung fliehen die Hilfe zu verweigern und dann auch noch vor Ort zu bedrohen, kann keine Grundlage für Gespräche sein, da dies den einfachsten Umgangsregeln in einer gemeinsamen Gesellschaft widerspricht.

FDP: Tom Wesener

Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist das Recht auf Asyl für politisch Verfolgte verankert. Diesem Grundrecht muss Ausdruck verliehen werden. Schon während der Prüfung auf Anerkennung als politisch Verfolgter hat der Asylsuchende ein Bleiberecht für die Dauer der Prüfung. Während der Prüfung leben die Asylbewerber in s.g. Flüchtlingsheimen. Es ist richtig, dass die Asylbewerber sowohl auf die Länder der Bundesrepublik als auch beispielsweise innerhalb Berlins auf die Bezirke verteilt werden. In diesem Zusammenhang hat der Bezirk Marzahn-Hellersdorf bislang weniger Asylbewerber zum Zwecke der Prüfung auf Anerkennung als politisch Verfolgte aufgenommen als andere Berliner Bezirke.

Im Prozess der Einrichtung von Unterbringungsmöglichkeiten für Asylbewerber kommt der Politik eine verantwortungsvolle Rolle zu. Politik muss insbesondere in diesem Prozess zum Dialog bereitstehen und berechtigte Fragen beantworten. Gleichzeitig muss deutlich gemacht werden, dass die demokratischen Parteien hinter der Einrichtung der Asylbewerberheime stehen. Dies ist in Marzahn-Hellersdorf geschehen. Die demokratischen Parteien haben beispielsweise auch auf die humanitären Krisen in Syrien und Afghanistan hingewiesen.

Etwaige Ressentiments in der Bevölkerung können nur durch stetige Gespräche und Informationsveranstaltungen abgebaut werden.
Zukünftig sollten die zeitlichen Dimensionen in der Kommunikation der staatlichen Stellen großzügiger gehandhabt werden. Zwischen Ankündigung und tatsächlicher Ankunft von Asylbewerbern sollten zukünftig bestenfalls mehrere Monate liegen, um den Prozess des Dialogs und des Erklärens frühzeitiger beginnen zu können.

Bündnis 90/Grüne: Stefan Ziller

Ich verstehe, dass Anwohnerinnen und Anwohner verunsichert sind über die Veränderungen in ihrem unmittelbaren Wohnumfeld und sich Sorgen machen, was auf sie zukommt.

Und ja: auch Politik muss sich Sorgen ebenso auch Vorurteilen stellen.

Doch ich glaube, dass Sorgen und Vorbehalte durch Aufklärung und Information abgebaut werden können. Gerade der Kontakt der Flüchtlinge mit den Anwohnerinnen und Anwohnern kann aus meiner Sicht zur Entspannung beitragen.

Jedoch setze ich mich entschieden gegen die empörenden Versuche von Rechtsextremisten ein, ausländerfeindliche Stimmungen zu schüren und Wahlkampf auf dem Rücken der verstörten und traumatisieren Flüchtlinge zu machen.

Ich stelle mich gegen Rassismus und menschenverachtende Äußerungen, die Marzahn-Hellersdorf und die Einwohnerinnen und Einwohner des Bezirks in keiner Weise repräsentieren.

Die Kandidatinnen der SPD und der Linken, Iris Spranger und Petra Rau, haben sich bis Fristende nicht zur Fragestellung geäußert.

*Die Reihenfolge der Beiträge ergibt sich aus den Wahlergebnissen der letzten Bundestagswahl im Bezirk.

QIEZ hat die Direktkandidaten aller zwölf Wahlkreise befragt und wird die Ergebnisse nach und nach online stellen.

Ressentiments im Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf, Carola-Neher-Straße 38, 12619 Berlin

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