„Unangepasste Geschwindigkeit“ ist in der Unfallstatistik der Berliner Polizei die dritthäufigste Ursache dafür, dass es kracht. „Unangepasst“ ist jedoch ein relativer Begriff: An einer viel befahrenen Kreuzung können 50 Stundenkilometer deutlich zu viel sein. Und ein Radfahrer, der mit Tempo 25 auf eine Bushaltestelle zufährt, kann auch zu schnell unterwegs sein – selbst wenn er sich auf dem Radweg befindet.
Eine innerstädtische Regelgeschwindigkeit von 30 Stundenkilometern planen weder der Senat noch die Bundesregierung – obwohl sie von beinahe allen Verkehrsexperten empfohlen wird. Doch Stadtentwicklungsverwaltung und Bezirksämter arbeiten an mehreren Projekten, um den Verkehr zu entschleunigen, Unfallschwerpunkte sicherer und für Fußgänger attraktiver zu machen sowie Durchgangsverkehr dorthin zu lenken, wo er möglichst wenig stört. Nachfolgend eine Übersicht über wichtige aktuelle Vorhaben.
BEGEGNUNGSZONEN
Ein zukünftiges Modellprojekt des alten rot-roten Senats waren sogenannte Begegnungszonen – Orte, an denen Radfahrer und Fußgänger in der Mehrheit sind. Dort sollen sie gleichberechtigt mit den Autofahrern die Straße nutzen dürfen – bei einem Tempolimit von 20 km/h für alle. „Absurd“ fand die CDU das früher, obwohl nur der Checkpoint Charlie sowie Teile der Wilmersdorfer und der Bergmannstraße einbezogen werden sollten. Nun ist die CDU Teil der Regierungskoalition und die Verkehrsverwaltung unterstützt einen „Test mit offenem Ergebnis“, der „frühestens ab Ende 2013“ beginnen soll. Von zwei Dutzend Straßen, die die Bezirke vorgeschlagen haben, sollen „bis zu drei als Pilotvorhaben“ ausgewählt werden.
Nicht verwirklicht wird dagegen das weitergehende Konzept des „Shared Space“, bei dem der Verkehrsraum von allen Teilnehmern gemeinsam und gleichberechtigt genutzt wird. Die Grünen plädieren seit Jahren für entsprechende Testversuche. Der ADAC kann sich eine Umsetzung am Checkpoint Charlie vorstellen, doch der Senat vermeldet, dass „keine Interessensbekundungen aus den Bezirken bekannt“ seien.
KOTTBUSSER TOR
Der Kreuzberger Verkehrsknoten ist seit langem für einen Umbau vorgemerkt, da er zu den schlimmsten Unfallschwerpunkten gehört. Die Neugestaltung soll nach Angaben des Bezirksamts im Mai beginnen und bis Herbst 2013 abgeschlossen sein. Für 1,5 Millionen Euro werden die Ampeln erneuert, Rad- und Gehwege durch Schutzgitter getrennt, Linksabbiegemöglichkeiten für Radler geschaffen und ein durchgehender Radweg im Innenkreis angelegt, von dem Autos durch einen Bordstein getrennt sein sollen. Darüber hinaus sind 50 Fahrradstellplätze unter der Hochbahn vorgesehen. Der Autoverkehr soll nach dem Umbau nicht beeinträchtigt werden. Der Senat plant, den inneren Platz ab September neu zu gestalten – unter dem Vorbehalt, dass im nächsten Haushalt dafür Geld zur Verfügung gestellt wird.
WARSCHAUER UND MÜLLERSTRASSE
Für beide Straßen sind Fahrradstreifen geplant. Die Fußgängerwege sollen attraktiver werden, ohne dass Autospuren wegfallen. Das Geld stammt laut Senat aus dem Förderprogramm „Aktive Zentren“.
SÜD-OST-VERBINDUNG (SOV)
Geplant ist eine vierspurige Querung der Spree mit Rad- und Gehwegen. Sie soll die Rummelsburger mit der Köpenicker Landstraße verbinden und Schöneweide entlasten. Zunächst wäre davon nur eine Kleingartenanlage betroffen, doch für den erwogenen Weiterbau bis zur A 113 müssten hunderte Kleingärten im Ortsteil Baumschulenweg und in Späthsfelde daran glauben. Im Koalitionsvertrag ist nur die Spreequerung festgehalten.
ADLERGESTELL
Berlins längste Straße – sie geht stadteinwärts in die Köpenicker Landstraße über – wird vorerst eine Art Schnellstraße bleiben, obwohl sie nach der Eröffnung der parallel verlaufenden A 113 vor vier Jahren schmaler und langsamer werden sollte. Zurzeit gilt teilweise trotz Wohnbebauung Tempo 70. Die Senatsverwaltung verspricht mehr Grün, mehr Platz für Radfahrer und geparkte Autos sowie attraktive Bahnhofsvorplätze (die S-Bahnlinien nach Grünau, Königs Wusterhausen und Schönefeld verlaufen parallel). Nun rudert der Senat jedoch zurück und spricht von „mittel- bis langfristiger Planung“. Mit anderen Worten: Die schnurgerade Straße wird noch viele Jahre eine Rennstrecke bleiben.
TANGENTIALVERBINDUNG OST (TVO)
Die TVO soll Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg mit Treptow-Köpenick und dem Flughafen BER verbinden. Die betroffenen Bezirke engagieren sich seit Jahren für den Lückenschluss zwischen der Märkischen Allee und der Straße an der Wuhlheide. Jetzt haben sie sich geeinigt, dass die vierspurige Straße im Südteil östlich und im Nordteil westlich der Bahntrasse verlaufen soll. Die weitere Planung übernimmt der Senat, der laut Koalitionsvertrag eine „schnelle Realisierung“ anstrebt. Bei der vorgesehenen Trassenführung dürfte es allerdings zu einer Klage des Naturschutzbunds (NABU) kommen, der auf Gefahren für das Biotop Biesenhorster Sand hinweist.