Orbit Recycling

Der Letzte räumt den Weltraum auf

Ein Satellit schwebt über der Erde.
Stau im Weltall: Raketenantriebe und alte Satelliten verursachen Tonnen an Weltraumschrott.
Aus den Augen aus dem Sinn? 8.000 Tonnen Müll schweben schwerelos über unseren Köpfen. Der Physiker Frank Koch aus Spandau will diesen Weltraumschrott recyceln – für die europäische Mondstation.

600 Menschen und 7.500 Raketen flogen bisher ins All. Während die meisten Astronauten wieder auf der Erde landeten, blieben die Raketen und Satelliten jedoch im Weltraum. Nicht alle davon werden noch genutzt, sondern schweben als 8.000 Tonnen Weltraumschrott herum. „Es ist ein Symbol der Menschheit, dass wir überall, wo wir hinkommen, Müll hinterlassen„, sagt Frank Koch, Diplom-Physiker und Ideengeber für das Weltraum-Recycling. Sein Ansatz ist dringend notwendig: Denn die niedrigste Atmosphärenschicht, das sogenannte LEO-Orbit (Low Eart Orbit), ist bereits mit alten Satelliten und Raketenantrieben zugemüllt. Wenn den Geräten nach 14 bis 15 Jahren der Sprit ausgeht, werden sie absichtlich vergessen. In diesem sogenannten Friedhofsorbit schwebt der Schrott vor sich hin, sinkt nach Jahrzehnten durch die Bremskräfte der Erdatmosphäre ab und verglüht bei der Reibung mit eben jener. Ab 800 Kilometer hat man diesen Bremseffekt allerdings nicht mehr, Navigations- und Telekommunikations-Satelliten auf 25.000 Kilometern bleiben ganz einfach im All – sie werden einfach ein paar hundert Kilometer höher geschossen. Und viele sagen sich vielleicht: Wen stören sie da schon?

Doch das ist keine Option für Frank Koch. Das Thema Müllbeseitigung hat den Gründer von orbit recycling schon immer interessiert – für seine Semesterarbeit entwickelte der Physiker ein Verfahren für eine Kampfmittelräumfirma, um beispielsweise Minen, Bomben oder chemische Kampfstoffe im Boden aufzuspüren. Später war er Nachhaltigkeitsbeauftragter bei großen IT-Konzernen und versuchte, die IT nachhaltiger zu gestalten. Auf die erst mal seltsam klingende Idee, den Weltall aufzuräumen, kam Frank Koch, als er mit einem Bekannten in dessen, als Hubbel-Nachfolger geplantes, Weltraumteleskop blickte und statt Meteoriten im All lauter Weltraumschrott sah.

Frank Koch steht neben einer Leinwand und hält einen Vortrag zu Orbit Recycling und Nachhaltigkeit im All.

Der Diplom-Physiker ist inzwischen ein Experte für Nachhaltigkeit im All.

Dieser Müll ist Millionen wert

„Warum sollen wir den Müll im All entweder verbrennen oder vergessen?“, fragte sich Frank Koch an diesem Tag. Schließlich birgt der Weltraumschrott einen riesigen, ungenutzten Schatz in Form wertvoller Ressourcen wie Aluminium und Titan, das woanders gebraucht wird. Außerdem bringt er viele ungeklärte Fragen mit sich: Welche Auswirkungen haben die beim Verbrennen entstehenden Metalloxide auf unsere Ozonschicht? Wird das Weltall irgendwann durch miteinander kollidierenden und weiter zersplitternden Teilchen so voll, dass die Raumfahrt Probleme bekommt? Zumindest Donald J. Kessler, Astronaut und Erfinder eben jenes Kessler-Snydroms, warnte bereits 1978 vor der Gefahr der ständig zunehmen kleinen Objekte im Weltall.

Ein Jahr lang plante und berechnete Koch mit seinem Team für sein Projekt Orbit Recycling. Vor zwei Wochen stellten sie das Projekt zum ersten Mal bei einem Kongress der European Space Agency ESA vor und stießen auf viel positives Feedback. Aus Expertensicht sollte das Projekt technisch umsetzbar sein. Ob es tatsächlich Realität wird, hänge laut Koch also nur noch vom Willen der Politik ab: „Eigentlich ist es kein technisches, sondern ein politisches Problem. Weltall-Recycling muss politisch gewollt sein“, sagt der Spandauer. Und weiter: Aufräumen ist nie schön, das kennt man ja von Zuhause. Das Recycling soll eine Art Anreiz darstellen. Zum Beispiel könnte man die selbst recycelten Teile an die Mondstation verkaufen.“ Koch will einen Paradigmenwechsel in der Raumfahrt anstoßen. Schließlich soll noch etwas von der Erde zu sehen sein, wenn Koch einmal seinen Traum verwirklichen und ins All fliegen sollte: „Ich will einmal die Erdkrümmung sehen“, sagt er zu uns.

 

 

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

 

Ein Beitrag geteilt von Studio Roosegaarde (@roosegaarde) am Sep 13, 2018 um 10:04 PDT

 

„Auf dem Mond ist alles wertvoll, weil es da nichts gibt“

Der Schrott soll vor allem für ein Paradeprojekt der europäischen Raumfahrt weiterwendet werden: Eine Mondstation, die in den 2030er Jahren als Ausgangsort für Mars-Testmissionen dienen wird. „Warum soll man Material von der Erde hochschicken, wenn man schon so viel davon im All hat?“, ist Kochs folgerichtige Frage. Mit seiner Idee bräuchte man nur ein Siebtel der Raketenstarts und viel weniger Ressourcen für die Mondstation. Ein kleiner Weltraumschlepper würde den Schrott einsammeln und zum Mond bringen. Das spart zum einen Unmengen Sprit und Geld in Milliardenhöhe und auch der Weltraum würde dadurch sauberer. Derzeit wird geplant, Weltraumschrott durch ein Raumschiff mit Greifarmen zu beseitigen, das den Schrott an die Erdatmosphäre zieht und zum Verglühen bringt.

Natürlich kann nicht der gesamte Schrott im All recycelt werden. Aber es ist denkbar, rund 250 Tonnen Aluminium aus ausgebrannten Raketen-Oberstufen auf dem Mond zu verarbeiten. Eine Option ist es, die Wasser- und Sauerstofftanks der Oberstufen einfach als Behälter weiter zu verwenden – schließlich braucht die Marsmission Treibstoff und Energie, die durch die Aufspaltung von Wasser in eben diese zwei Elemente gewonnen wird. Eine andere Möglichkeit ist es, beschädigte Tanks mit einer speziellen Schmelzmethode, Mondstaub und 3D-Drucker in neues Baumaterial zu verwandeln.

Ein galaktischer Schulbus außer Rand und Band?

Die Motivation, den Weltraum zu säubern, ist in Europa groß. Aber nicht etwa, weil ein sauberes All schöner ist, sondern weil die Raumfahrt durch den Schrott gefährlicher wird: Die ESA schickte vor ein paar Jahren einen großen Wettersatelliten namens ENvie-Sat, kurz für Environmental-Satellite, ins All. Dieser wiegt über zehn Tonnen und hat die Größe eines alten Schulbusses. Seit 2012 ist dieser riesige Satellit außer Kontrolle, es gibt keinen Kapitän und keinen Treibstoff. Er fliegt seine Bahnen über unseren Köpfen durch den Orbit und blockiert den Weg für andere Satelliten. Eine Art galaktischer Schulbus, der ungesteuert durchs Weltall rast? Was sich anhört wie ein absurdes Szenario aus Per Anhalter durch die Galaxis, ist Realität. Tatsche ist, dass wir keine Ahnung haben, was sich über unseren Köpfen abspielt. Aber ein besseres Gefühl wäre es bestimmt, wenn da oben kein Müll fliegen würde. Schließlich wollen wir nicht, dass uns eines Tages der Himmel auf den Kopf fällt!

 

Weitere Artikel zum Thema

Wohnen + Leben
Top 10: Alternativ wohnen in Berlin
Die Wohnungsnot in Berlin führt dazu, dass einige trotz horrender Mieten an ihren Mietwohnungen festhalten. […]
Mode | Shopping + Mode
Top 10: Nachhaltige Mode in Berlin
Immer mehr Berliner Labels setzen auf Nachhaltigkeit – natürlich mit dem hauptstädtischen Coolness-Faktor. Ob Kinderbekleidung, […]