Virtual Reality in Berlin

Das Kino der Zukunft ist großartig und asozial

Von außen sieht so ein VR-Kino ziemlich lustig aus. Die Menschen drehen sich, alle schauen woanders hin. Einige erschrecken sich auch zu Tode. Selbst schuld, wer den Horrorfilm schaut.
Von außen sieht so ein VR-Kino ziemlich lustig aus. Die Menschen drehen sich, alle schauen woanders hin. Einige erschrecken sich auch zu Tode. Selbst schuld, wer den Horrorfilm schaut.
Kollwitzkiez - Virtual Reality begeistert seit Jahren als "the next big thing" die Technik- und Computerspielbranche. Eine Firma aus den Niederlanden will den nächsten Schritt gehen und ganze VR-Kinos gründen. Wir waren beim ersten deutschen Pop-up dabei.

Viele Ohs, viele Ahs und ab und zu ein „ist das geil!“. Die Reaktionen der Zuschauer sind ziemlich gleich und ziemlich vorhersehbar. Ist aber auch geil, dieses Virtual Reality, kurz VR. Die klobigen Brillen sehen immer noch abgefahren aus, obwohl es erste Modelle schon in den 80ern in die Spielhallen schafften.

VR ist so etwas wie Surroundsound für die Augen. Die Brillen, in der Fachsprache „Head Mounted Displays“, suggerieren über Bildschirme, die direkt vor den Augen liegen eine „neue“ Realität – egal in welche Richtung man schaut. Du fühlst dich – so zumindest das Versprechen – als wärst du mittendrin statt nur dabei. Dagegen stinkt auch 3D ab.

VR-Filme, Fotos und vor allem Spiele gibt es schon eine ganze Menge. Bisher beschränkte sich das Erlebnis aber auf das eigene Zuhause oder Messen. Jetzt also gleich ein ganzes Kino? Fast. Die Firma Samhoud aus den Niederlanden tastet sich langsam ran, startete im eigenen Haus und ist jetzt in Europa unterwegs.

Virtuelle Realität aus Amsterdam

Samhoud war ursprünglich eine Unternehmensberatung und dreht heute auch VR-Filme für Firmen. „Als Berater versuchen wir, Leute immer wieder zu inspirieren, sie zu neuen Entwicklungen anzutreiben. Diesen Anspruch hatte dann auch die neue Abteilung“, erklärt Pascal Steeghs. Sie arbeitet bei den Niederländern als Consultant und ist verantwortlich für die VR-Pop-up-Kinos.

Nur zwei Tage nach Berlin reist ihr Team nach München, dann nach Zürich, alles ausverkauft. Für London und Kopenhagen werden die Termine bald bekanntgegeben. An einem Abend gibt es mehrere Vorstellung, eine dauert 30 Minuten. Mehr geht nicht, dafür ist VR-gucken zu anstrengend. „Viele fühlen sich danach schwindelig und müssen erst ihr Gleichgewicht wiederfinden.“

Hohe Hürden, einmaliges Erlebnis

Und das ist noch harmlos. Empfindliche Menschen setzen die Brille auf, schauen sich zwei Mal um und müssen zur Spucktüte greifen. Das komme aber selten vor, sagt Pascal. „Weniger als zehn“ hätten sich bei ihren Events bisher übergeben, ein ganz guter Schnitt bei 4000 Besuchern insgesamt.

Aber auch sonst sind die Hürden für so ein Kino hoch: Die Technik kostet pro Besucher mehrere hundert Euro, es braucht einiges an Personal, die Plätze mit Brille und Kopfhörer vorzubereiten. Denn Samhoud setzt auf die VR-Lösung von Samsung, „Gear VR“. Da kostet die Brille nicht so viel, als Display fungiert aber ein Smartphone der Oberklasse. Alles muss nach bzw. vor jeder Vorstellung gereinigt und eingestellt werden.

Dass die Wahl auf dieses System gefallen sei, habe einen einfachen Grund: „Als wir damit im Oktober 2015 angefangen haben, gab es nichts Besseres auf dem Markt.“ Genauso richtig wäre vermutlich „nichts anderes“. Denn die einstigen Pioniere von Oculus Rift, das mittlerweile zu Facebook gehört, können den „Massenmarkt“ erst seit diesem Jahr bedienen. Nichtsdestotrotz glaubt die Firma an das Konzept. Denn das Erlebnis ist einmalig.

Kommt bald das VR-Kinofestival?

Aber auch da gebe es Abstriche. Beim Berliner Pop-up in der Platoon Kunsthalle gibt es zwar Kartenkontrolle und Popcorn. Zum echten Kinogefühl fehlt aber was. VR-Kino ist auf seine Art asozial, Pascal sagt „individueller“. Man sieht sich nicht und kann sich auch nicht unterhalten, jeder hat ja Kopfhörer auf. Im Extremfall sitzen alle im gleichen Raum, schauen sich aber unterschiedliche Filme an.

„Wir glauben, dass VR neben dem normalen Kino existieren kann. Die Leute werden trotzdem weiterhin in 2D- oder 3D-Filme gehen.“ Die Disruption bleibt also aus, die Revolution ist schon da. Denn wegen der großen Resonanz plant Samhoud in ein paar Monaten ein längerfristiges VR-Kino-Pop-up, zum Start in Berlin und Amsterdam. Die Ambitionen sind aber noch größer: „Idealerweise finden wir jemanden, der das mit uns dauerhaft aufzieht.“ Wir freuen uns schon drauf.

Platoon Kunsthalle, Schönhauser Allee 9, 10119 Berlin

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