„Hello and welcome“: So ertönt die Siri-Stimme als die Drehbühne ein Vorzimmer eines Arzt- oder vielmehr Esoterikraumes offenlegt. Angela Dreem trägt weiße Sneaker, Levis-Jeans und ein weißes Shirt mit der Aufschrift Infiniti. Um sie herum schrilles Interieur mit neongrünen Wänden und einem Bildschirm, der Asteroiden in einem magentafarbenen Kosmos zeigt. Der Zuschauer wird durch die Drehbühne immer wieder zur nächsten Szene manövriert, besonders durch die sich so wiederholenden Räume hat man schnell das Gefühl in einer vorabendlichen Soap zu sitzen. Doch wäre das der Fall, würden spätestens die Doppelgängerinnen für Unverständnis sorgen. Immer wieder taucht eine neue Angela auf, mit neuer Aufschrift auf dem Shirt (Gender, YouTube, Women’s Health).
Latex, Voice-Over und das Zwischenmenschliche
In dem englischsprachigen Stück von Susanne Kennedy wird mit vielen identifikatorischen Mitteln aufgeräumt und das ist nichts Neues für die Regisseurin, schließlich nutzte sie in ihrer Operninszenierung Orfeo (2015) schon Voice-Over und Kunststoffmasken. Auch in Women in Trouble bewegen die Schauspieler ihren Mund zu dem Gesagten, sie tragen Perücken und ihre Gesichter bleiben verborgen hinter den fetischhaften Maskierungen. Das ist zunächst zwar gewöhnungsbedürftig, akzentuiert aber auch Zwischenmenschliches in der technologischen Welt. So steht geschrieben und ertönt „Silence“ als Angela im Gespräch mit der Empfangsdame des Lifespringrooms ist. Also die Nicht-Reaktion wird mit Ausrufezeichen versehen, wie beim Textnachricht schicken mit WhatsApp durch die blauen Häkchen. Dazu wird Emotion beim Zuschauer anders hervorgerufen: Zum Beispiel gerade das laute Gelächter mit vollem Körpereinsatz bringt das Publikum zum Lachen, nicht wegen dem Witz, sondern wegen der speziellen Darstellung.
Worin besteht nun der Trouble? Bestimmt auch darin, dass es dem Zuschauer nicht sonderlich leicht gemacht wird zu verstehen, dass die Hauptfigur samt Doppelgängerinnen von „einer Rabbit-Hole-Realität in die andere fallen“, so wie im Text zum Stück festgehalten. Diese Realitäten befassen sich mit Dreems Krebserkrankung, ihrem Verhältnis zur Mutter, Boyfriend und Girlfriend sowie ihr Schaffen als Schauspielerin und ihren Aufenthalt im Lifespringroom, der irgendwas mit Optimierung und Weiterentwicklung zu tun hat. In allen Bereichen gibt es genug Platz für Probleme. Dabei geht es bei ihr und ihrer Mutter um altbekannte Abnabelungsprozesse: „Du bist zielstrebig, so wie ich“, hört man die Mutter sagen. Dazu spielen sie das Mirror-Game, das an Jaques Lancans bekanntes Spiegelstadium erinnert. Ganz in dem Sinn: Wo hörst du auf und wo fange ich an.
Die Männer im Stück scheinen dazu da, Klischees zu stützen. Da gibt es den festen Freund, der Angela liebt, aber so richtig binden will er sich nicht, und als Angela mit Freundin im Pool rumknutscht, sorgt das für glotzendes männliches Publikum. Wenn man so will, ist das auch der Trouble, denn das Klischee ist so oft bestätigt, dass es akzeptiert wird.
Am interessantesten ist die Szene zwischen Angela Dreem, ihrem Schauspielerfreund und ihrem Boss. Der Freund soll Angela schlagen und dabei ertönt folgender Satz, den der Boss nachspricht: „Es ist Tradition, dass Schauspielerinnen geschlagen werden. Es hat also nichts damit zu tun, dass du eine Frau bist.“ Diskriminierung und körperliche Gewalt werden also mit „es war schon immer so“ abgetan und dabei wird versucht, das gewalttätige Verhalten durch die Tatsache zu legitimieren, dass es nur einen Teil von Frauen betrifft. Das ist eine perfide Argumentation,die schon bei Aussagen wie „sie trägt diese Kleidung, also…“ mitschwingt. Sie soll aber auch für Abgrenzung zum eigenen Geschlecht führen! Die Szene endet schließlich damit, dass der Schlag nicht gezeigt wird: Angela Dreem liegt aber trotzdem auf dem Boden vor den beiden Männern. Also das Machtverhältnis bleibt stets bestehen und die legitimierende Argumentation ist offensichtlich nur Vorwand. Sexismus at its best.
Gehaltvolle Bilder und Kopfschmerzen
Diese Teile des Stücks sind wichtig und prägend, denn insgesamt schafft es Women in Trouble gehaltvolle Bilder zu kreieren: Zum Beispiel wie Angela ihrer toten Doppelgängerin die Füße einbalsamiert oder die Hauptfigur eine Fehlgeburt erleidet und sich das Blut zwischen den Beinen rausstreicht. Schwierig wiederum ist der Text als Ganzes. Es ist ein Stream of Conciousness, bei dem einem der Kopf weh tut. Referenzen auf das Alte Testament und das Werk Anti-Ödipus (Gilles Deleuze und Félix Guattari), philosophische Zitate, Werbung und Kalenderblatt-Sprüche verweben sich mit der Geschichte um Adam und Eva. Wer jetzt nichts mehr versteht, dem sei gesagt: So ging es auch dem Publikum. Häufigste Bemerkungen: „Skurill!“,“Muss ich das verstehen?!“ , „Hä?“
Das wird noch gesteigert durch Längen in dem zweieinhalbstündigen Stück, sodass die letzte Szene auch Erleichterung bedeutet. Nichtsdestoweniger können wir uns selbst etliche Tage nach dem Besuch immer noch an das Gezeigte und die Atmosphäre erinnern, denn keiner der Probleme in Women in Trouble ist weit hergeholt oder kommt von fremden Galaxien und ist gar utopisch. Der einsame Tod, die Selbst-Optimierung, Frauengesundheit und Diskriminierung, der Mann als Klischee-Träger: Das ist unsere Realität: Jetzt.
Women in Trouble läuft noch bis zum 20. Januar 2018 in der Volksbühne und ist die erste Hausproduktion von Chris Dercons Volksbühne.