QIEZ: Laut Twitter arbeitest du beim „Verteidigungsministerium für das kulinarische Weltkulturerbe“, kümmerst dich um „gastrosophische Krisenbewältigung“ und nennst dich selbst Wurstsack. Wie kommt man denn auf so einen Namen?
Hendrik Haase: „Die Domain wurstsack.com habe ich schon mit 16 gekauft. Die klingt einfach besser als HendrikHaase.de. Außerdem drucksen die Leute bei dem Namen so schön rum, sind peinlich berührt. Seit 2006 blogge ich unter dem Synonym und irgendwann hat es sich verselbstständigt. Jetzt ist es ein Markenname – steht so auch im Reisepass.“
Hast du dein Herz für Fleisch schon von klein auf?
Wenn man sich so intensiv mit Lebensmitteln und der Industrie dahinter beschäftigt – ist man am Ende eher frustriert oder resigniert?
„Weder noch. Ich kämpfe ja für die Alternativen. Wenn du siehst, in was für zugeschissenen, verschimmelten Wohnungen oder Containern die heutigen Schlachthofarbeiter leben müssen, die das Fleisch für Aldi und Lidl zurechtschneiden, und dann kommen die Journalisten und sagen: ‚Aber Haase, das kann sich doch keiner leisten!‘ Da würde ich die gern direkt mitnehmen, sie in die Dusche stellen, in der die Rumänen duschen müssen und noch mal hören, dass das Fleisch zu teuer ist. Der „gerechte“ Preis, der im Regal liegt, hat einfach was mit Menschenrechtsverletzung, Ausbeutung und Ignoranz zu tun. Und da haben wir noch gar nicht von den Tieren gesprochen.“
Also machst du es mit deiner gläsernen Metzgerei vor. Zeigst, dass es auch anders geht.
„Klar kann man viel reden und diskutieren. Ich lasse die Leute aber am liebsten selbst probieren. Denn unsere Wurst schmeckt besser. Die gewinnt gegen jede 08/15-Wurst von Aldi. Aber das muss sie auch können. Sie muss besser schmecken. Das ist am Ende das beste Argument.“
Ist das denn bei den Leuten schon angekommen?
„Fakt ist: Die Einschläge kommen näher. Wenn die Leute merken, es gibt keine Bäcker, keine Metzger mehr. Dafür finden sich mittlerweile in vielen Urinproben Pestizide und in Produkten Erdöl, Übergewicht nimmt zu, Leute werden krank. Dann werden viele offener, über Alternativen nachzudenken. Dafür lohnt es sich zu kämpfen.“
Du sitzt jetzt an der Quelle: Wie viel Fleisch isst du denn?
„772 Gramm pro Tag. Nein Quatsch, ich hab’s nicht gemessen. Aber es ist sicherlich weniger als man denkt. Klar probiere ich einiges aus der laufenden Produktion. Aber ich nehme mir nicht – bloß weil ich jetzt eine Metzgerei habe – jeden Tag das Steak mit nach Hause. Mein Kühlschrank ist auch nicht voll mit Leberwurst.“
Wie kam es überhaupt dazu? Eigentlich bist du ja gelernter Designer.
„Bernd (Anm. d. R.: Mitgründer der Markthalle Neun) und ich waren wegen der geplanten Wurstwerkstatt des Stadt Land Food Festivals 2014 bei der Innung, um uns zu erkundigen, ob und wie wir live wursten und das Ergebnis verkaufen können. Das hatten viele vor Ort so vorher noch nicht gehört und glaubten nicht daran, dass sowas umsetzbar wäre. Jörg (Anm. d. R.: Innungsmitglied und Geschäftsführer von Kumpel & Keule) war damals der einzige, der es für möglich hielt, ein Hygienekonzept entwarf und schließlich das Ganze auf dem Festival mit uns umsetzte. Und das Ergebnis schlug ein wie eine Bombe. Die Leute haben stundenlang zugeguckt, wie wir Wurst machen. Da war uns klar: ‚Eigentlich müsste man eine Metzgerei so betreiben.‘ Darauf hatte die Markthalle Lust, Jörg blieb dran. Und ich bin schließlich als Teilhaber mit eingestiegen.“
Echte Kumpels
Deshalb auch Kumpel & Keule?
„Klar ist einer Geschäftsführer und gibt den Ton an, weil er die meiste Erfahrung mitbringt. Aber alle sind am Gewinn beteiligt und bringen ihren Teil zum Erfolg bei. Wir wollen den „Kumpel-Spirit“ leben und nicht sagen: ‚Du bist angestellt, mach‘ mal Wurst.‘ Früher an der Fleischtheke haben die Jungs einfach einen Job gemacht. Hier geht es uns ums Kumpane sein, das ganzheitliche Kumpel-Konzept.“
Wie viele Kumpels seid ihr denn?
„Wir haben einen Koch, drei Gesellen, Jörg als Metzgermeister und mich für Design und Kommunikation. Öfter dabei ist auch eine Praktikantin.“
Frauen sind in der Branche aber sonst eher spärlich gesät, oder?
„Noch. Wir wollen Frauen gern dabei haben – auch vor der Theke. Ich hab erst neulich einem großen Food-Magazin, das laut Website „das Magazin für Männer“ ist, eine Absage erteilen müssen. Die wollten, dass ich für sie schreibe. Da meinte ich: ‚Ja gerne. Aber dann müssen wir erstmal über euren Gastro-Sexismus reden.'“
„Gastro-Sexismus?“
„Fleisch als Männerprodukt nach dem Motto: ‚Männer sind Steakmänner!‘ ‚Fleisch kaufen nur Männer!‘, ‚Männer sind stark, wenn sie Fleisch essen!‘
Dabei verkaufen wir viel Fleisch an Frauen. Frauen essen genauso gerne Blutwurst. Sie essen Fett und Speck. Sie essen all das, was man ihnen scheinbar gar nicht mehr zugesteht. Das Klischee ‚Frauen essen vegetarisch und wenn Fleisch, dann nur Pute und Fitnesssalat‘ stimmt einfach nicht. Ich kenn‘ keine Frau, die den Fettrand abschneidet.“
Was empfiehlst du mir bei euch? Was muss ich probieren?
„Wir bauen gerade langsam das Sortiment auf. Wir haben frische Bratwürste in vielen Varianten. Kalbsbraten für Vitello tonnato. Viele Wochen trocken gereiftes Roastbeef vom Weiderind. Leckeren Kassler. Frisch gewolften Dry-Age-Burger. Leberwurst. Und über unseren Leberkäse haben schon die Bayern gesagt, dass er gut schmeckt.“
Können wir nur bestätigen. Im Anschluss gab es von Hendrik noch ein Leberkäse-Sandwich für den Weg. Vorzüglich! Und unsere Kaufempfehlung für Wurst & Bier diesen Sonntag in der Markthalle Neun – den Markt, auf dem sich handwerklich arbeitende Metzgereien und Brauereien vorstellen, mit Verkostungen, Filmen und mehr.
Crafted Meat from Gestalten on Vimeo.