Durch den Kiez

Bodo Wartke: „Was ich an Berlin mag, ist woanders schwer zu finden."

Bodo Wartke lehnt sich an ein verostetes Auto vor dem Café Zazza. Im Vordergrund ein Auto.
Das verrostete Auto kennt Bodo Wartke, seit er im Kiez wohnt.
Schauspieler, Pianist oder Sänger? Klavierkabarettist! Bodo Wartke jongliert mit Reimen, bis einem ganz schwindlig wird, und begeistert mit kritischen und lustigen Songs. Auf unserer Tour mit ihm durch Kreuzberg sprechen wir über Berliner Subkultur, Reimkultur und Kulturverlust...

Das Café No milk today, in dem der Klavierkabarettist Bodo Wartke uns treffen wollte, macht seinen Namen heute zum Programm und schenkt uns weder Milch noch sonstwas aus… es bleibt geschlossen. Typisch Montag in Berlin – nur feiern kann man in dieser Stadt immer, alles andere klappt nicht zuverlässig. Glücklicherweise gibt es im Graefekiez genügend andere nette Läden und so landen wir im Zazza. Laut Bodo gibt es hier „leckeren Kuchen und man kann schön draußen sitzen“. Von einigen Regentropfen lassen wir uns nicht abhalten, das Open-Air-Angebot zu nutzen – wir Berliner trotzen schließlich ab März jedem Wetter, um an der frischen Luft zu sein.

Bodo Wartke ist allerdings kein echter Berliner, er ist in Bad Schwartau geboren und gilt damit eigentlich als Nordlicht. In der Hauptstadt wohnt er aber schon seit 20 Jahren in wechselnden Bezirken, darunter Lankwitz und Wedding. Niedergelassen hat er sich mittlerweile in Kreuzberg – in der Nähe des Kanals, wo man schön spazierengehen kann und die Mischung aus Wohlstand und Widerstand noch angenehm ist. Nach Berlin kam Bodo das erste Mal zu Schulzeiten als Gewinner des Wettbewerbs Schüler machen Lieder zum Treffen junge Musikszene Ende 1996. Damals fand er es hier so aufregend, dass er einfach blieb. „Mich hat das Unbekannte gereizt. All das, was ich an Berlin mag, ist woanders schwer zu finden – oder gibt es dort gar nicht“, sagt er und schlürft einen Schluck frisch gepressten Saft aus einem Spaghetti-Nudel-Strohhalmersatz. Dazu hat er Rührei mit Sucuk bestellt. Die pikante arabische Wurst ist bei uns ja schon so beliebt, dass man sie als Berliner Klassiker bezeichnen kann.

Am meisten schätzt Bodo an Berlin die Freiheit und die vielfältigen Möglichkeiten: Zu fast jeder Tageszeit kann er sich Filme in englischer Originalsprache angucken, sich künstlerisch ausdrücken und auf den vielen Theater- und Liederbühnen neue  Dinge ausprobieren. Was ihm auch gefällt, ist das entspannte Lebensgefühl, wobei „sich das leider gerade verändert“ – er spielt damit auf den hart umkämpften Wohnungsmarkt an. Man merke ja, was es mit der Stadt mache, wenn die Mieten unerschwinglich seien: „Kreuzberg ist wirklich ein lebenswerter Bezirk, nur sehr teuer. Berlin muss aufpassen, dass es das, was es so lebenswert macht, nicht verliert. Früher bin ich einmal im Jahr umgezogen, so etwas geht jetzt gar nicht mehr“, sagt er und guckt nachdenklich auf die umliegenden Altbauten mit dem schönen Stuck. „Man darf sich gar nicht vorstellen, wie teuer diese Wohnungen wohl heute sind.“

Die Reporterin und Bodo Wartke gehen nebeneinander auf der Straße.

Kreuzberg ist für Bodo Wartke ein teurer, aber sehr lebenswerter Bezirk.

Von der Berliner Subkultur auf die große Bühne

Bodo selber hat Glück, weil er einen alten Mietvertrag hat. Nur ist seine Wohnung ziemlich eng, seit er sich seinen Traum vom eigenen Steinway-Flügel erfüllt hat. Und das sei nur ein kleiner, betont Bodo. Aber als begnadeter Pianist und Komponist braucht man so etwas zu Hause… An seinen ersten abendfüllenden Auftritt in der legendären Scheinbar in Schöneberg erinnert sich der 42-Jährige gerne zurück. Sehr aufgeregt sei er damals gewesen. „Bei mir hilft gegen das Lampenfieber, meine eigenen Sachen zu spielen“, meint er: „Wenn ich zu Unizeiten Brahms vorspielte, ging es mir so schlecht, dass ich zitterte und Schweißausbrüche hatte.“ Und tatsächlich wirkt es mühelos, wenn er heute mit diesen eigenen Sachen, Charme und Leichtigkeit riesige Säle unterhält. Die Bühnenpräsenz scheint ihm in die Wiege gelegt worden zu sein: „Es ist schon fast frappierend, auf alten Videos zu sehen, mit welcher Selbstverständlichkeit ich schon als Jugendlicher auf die Bühne gegangen bin. Meine Einstellung war: Ich habe ein Lied geschrieben, also werde ich das natürlich singen.“

Um Missverständnissen vorzubeugen: Er sei nicht von seiner Genialität überzeugt gewesen. „Es war mehr die Freude an der Sache und die mit anderen zu teilen.“ Die Sache steht für seine Lieder, die immer eine tiefer gehende Botschaft und meist Gesellschaftskritik beinhalten. Allerdings sind die oft unter einer Schicht Humor versteckt – wie in den Songs Das Schweigen der Spammer, Architektur in Deutschland und Probleme, die ich früher noch nicht hatte. Diese Leidenschaft für seine Musik merkt man ihm auf der Bühne immer noch an – und das, obwohl er fast jeden Abend einen Auftritt hat. Im Jahr kommen da über 100 Auftritte zusammen, viel Zeit für Entspannung bleibt da nicht. Übrigens steht er trotz Ruhm und Ehre gelegentlich noch in kleineren Locations wie dem Zebrano Theater, dem BKA-Theater oder dem Heimathafen Neukölln auf der Bühne. „Ich habe nicht vergessen, wo ich herkomme“, scherzt er. Außerdem mache es ihm Spaß, die Kolleg*innen dort kennenzulernen: „Ich will weiterhin in der Berliner Subkultur auftreten.“

Scheiße in Gold verwandeln

Bei so viel Bühnenerfahrung geht der Künstler inzwischen gelassen mit Fehlern um: „Ich habe Freude am Scheitern – Fehler zu machen findet das Publikum total erleichternd“, sagt der charmante Entertainer. Denn perfekt ist schließlich niemand, auch nicht seine Zuhörer*innen. Bodos ehrliche, selbstparodierende Art bei seinen Konzerten kommt jedenfalls bestens an. Seine Lieder handeln von Liebeskummer, Herren-WGs, Damenbekanntschaften und den Absurditäten des Alltags – wie dem überwältigenden Angebot eines Coffeeshops voller Frappuccino, Karamelltopping und verschiedener Milchsorten. Aber auch ernste Themen wie das Grundgesetz oder die drohende Abholzung des Hambacher Forsts bringt er kurz, knackig und unterhaltsam auf den Punkt.

„Ein Lied zu schreiben, hat für mich etwas Kathartisches, einen Moment der Erkenntnis, des Friedenschließens und des Wandels. Es erleichtert mich selbst und nimmt manchen Dingen den Schmerz – oder den Schrecken“, erzählt uns der 42-Jährige. „An Sprache interessiert mich neben dem Inhalt vor allem der Klang und die Doppeldeutigkeiten, aus denen wunderbare Wortspiele entstehen können. Für mich ist Sprache im wahrsten Sinne ein Wortschatz: ein Schatz aus Worten“, so der Wortjongleur. Und wie findet er seine spitzfindigen Texte? „Einfach länger suchen, Fühler rausstrecken. Und viele gute Reime entstehen zufällig, die habe ich nicht geplant“,  beschreibt er so einfach, wie Zufall und Genialität aufeinandertreffen und „Klavierkabarett in Reimkultur“ kreiieren.

Wenn er über Liebeskummer oder Misserfolge singe, habe er den Trost, dass aus diesen schlechten Erfahrungen wenigstens ein Lied entstanden sei. „Salopp gesagt: Die Scheiße wird in etwas Schönes verwandelt“, sagt er und lacht. „Mein Publikum kann bei meinen Songs vielleicht das erste Mal über etwas lachen, das eigentlich gar nicht lustig ist.“ Trotz aller gesellschaftspolitischer Relevanz seiner Songs will Bodo den Leuten nicht sagen, was sie tun oder denken sollen – er sagt nur, was er selbst denkt. „Wenn ich dadurch was bewegen kann, umso besser. Dagegen sein ist leicht, aber wenig konstruktiv. Die wichtige Frage ist: Was können wir besser oder anders machen? Für viele Menschen braucht es ein Zünglein an der Waage, um etwas zu verändern und das kann auch Kunst sein“, so der Kabarettist.

Nahaufnahme Bodo Warkte und Reporterin.

Bodo Wartke ist im echten Leben genau so lustig wie am Flügel.

Was, wenn doch?

Einige Leben haben seine Songs bereits verändert. In seinem Lied Das falsche Pferd aus dem Album Was, wenn doch geht es unter anderem darum, seinem Lebenstraum zu folgen und den Mut zu haben, einfach zu machen und zu gucken, ob es klappt – statt vor lauter Angst niemals wirklich zu leben. Bodo erzählt von einigen Menschen, die nach dem Anhören dieses Songs ihren Job hinschmissen und endlich das taten, was sie schon immer wollten – sei es um die Welt zu reisen oder Eisverkäufer zu werden. Einer sei sogar aus dem Koma aufgewacht, als er Bodos Lieder hörte. „Trotzdem bin ich der Meinung: Ich bin nicht derjenige, der etwas verändert. Aber ich habe vielleicht ein Lied geschrieben, das einem Gefühl in einer Form Ausdruck verliehen hat, die schön klingt und sich reimt. Und das kann manchmal der Tropfen sein, der ein Fass zum Überlaufen bringt“, meint der Klavierkabarettist  bescheiden.

Bodos Eltern wollten ihn lange von seiner musikalischen Karriere abbringen. Woher hat er den Mut genommen, es trotzdem zu versuchen? „Ich habe immer an die Sache geglaubt und als ich nach Berlin kam, schnell gemerkt: Es funktioniert“, sagt der Wahlberliner. Tatsächlich war es damals hier ziemlich einfach, von seiner Kunst zu leben, erzählt Bodo, während wir durch den Kiez schlendern. Er zahlte nur 280 DM warm für seine Einzimmerwohnung im Wedding. Sein erstes Engagement hatte er im Chamäleon-Theater, wo er drei Monate eine Varieté-Show moderierte und dadurch finanziell unabhängig von seinen Eltern war. So konnten die weniger Druck ausüben – was sie aber trotzdem versuchten: „Meine Mutter wollte mich auf Linie bringen, sie hatte Angst, dass ich auf die schiefe Bahn und in diese Künstlerkreise gerate…“ Später machte sie allerdings ihren Frieden mit Bodos Beruf(ung).

Sein Vater dagegen tue sich da schwerer und gebe ihm immer noch Tipps, wie etablierte und erfolgreiche Kollegen aufträten. „Was gerade in Mode ist, ist mir eigentlich ziemlich mumpe. Doch auf gut Glück seiner eigenen Meinung zu folgen, anstatt das zu tun, was man halt so macht, ist in den Augen meines Vaters riskant und töricht.“ Und das, obwohl dieser auch künstlerische Ambitionen hatte und abstrakte Gemälde malte. „Wer weiß? Er hätte eine eigene Kunstepoche begründen können, aber er hat sich dafür entschieden, Urologe zu werden. Schade!“, resümiert Bodo. Da wären wir wieder beim Thema: Was, wenn doch? Unser Gespräch kreist immer wieder um das Motto: nicht aufgeben und an die Sache glauben! Und so passen die Hashtags perfekt, die Bodo seinem Leben aufdrückt: #waswenndoch? #einfachmachen #tuwasdutustausliebetuesnichtausangst.

Bodo Wartke sieht suchend in die Ferne, die Hand über den Augen.

Auf der Suche nach Inspiration oder günstigen Mieten?

 

Klassiker mal anders

Egal was man tut, man sollte Spaß daran haben. Schon zu Schulzeiten nervte Bodo, dass man mit so vielen langweiligen Sachen konfrontiert wurde. „Ich habe mich damals schon gefragt: Geht das nicht geiler?“ Als Beispiel nennt er Ödipus, dessen Geschichte ja nicht umsonst nach 2.500 Jahren immer noch aktuell sei. „Kann man den Klassiker nicht anders in Worte fassen, so dass er a) verständlicher wird, b) nicht so kompliziert erscheint und c) unterhaltsam ist?“, meint Bodo, der mit dieser „Guerilla-Taktik“, mit der er an alle Projekte rangehe, Ödipus schließlich auf die Bühne bringt. Dort steht er ganz alleine, spielt 14 verschiedene Rollen und schafft es, mit – in seinen Worten – „Style, Flow und Flavour“ das Publikum den ganzen Abend in seinen Bann zu ziehen. Auch Antigone präsentiert er inzwischen so auf der Bühne, und zwar mit tatkräftiger Unterstüzung seiner langjährigen Bühnenpartnerin, der Schauspielerin Melanie Haupt. Wir sind sicher, da kommt noch einiges mehr und alles wird sehenswert sein.

Derzeit läuft das Crowdfunding für Bodos Theaterfilm Antigone, der auf seinem gleichnamigen Bühnenstück basiert. Damit will Bodo ein Stück Kultur mehr Menschen zugänglich machen, die nicht zu seinen Theaterstücken kommen können. Wer spenden will, kann das über den Link tun.

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