Immobilien in Berlin

Wohnhorror: Sind wir zu arm für das sexy Berlin?

Blick nach oben in den Himmel aus einem Innenhof
Der Himmel über Berlin ist wohl das einzige, was kostenlos bleibt.
Jeden Tag hören wir von Zwangsräumungen, Eigenbedarfsklagen, Mietwucher und gierigen Investoren. Wer Umziehen muss, bekommt Beileidsbekundungen. Wohin soll das noch führen? Ein Berlin ohne Berliner?

Wenn nichts mehr hilft, dann wärmen wir uns an Gedanken von früher: Hach, Berlin, wir vermissen dich! Damals, als die meisten Häuser im Westen noch Privatleuten gehörten oder der Stadt und man nicht einzig und allein für die Miete arbeiten ging… Damals, als im Osten günstiger Wohnraum quasi zur Grundausstattung gehörte – ok, wenn man denn mal eine Wohnung zugewiesen bekam… Klar, nach der Wende war Berlin ein großes Planschbecken für Immobilienhaie, aber auch für Privatleute mit geringem Eigenkapital ging hier einiges auf dem Wohnungsmarkt. Kaum waren die Nach-Wende-Besitzrechte geklärt, wurden die Schmuckstücke in Prenzlauer Berg, Mitte und F-hain veräußert. Selbst Kreuzberg, das für Geldgeber bis dahin uninteressant war, weil es als Grenzgebiet nur Künstler und Freaks anzog, erwachte aus dem Dornröschenschlaf. Wohnmärchen wurden sogar für Studenten und Kleinfamilien wahr – vor allem in unsanierten Wohnungen in Ost-Berlin.

Unfassbare Preissteigerungen

Das Immobilien-Schnäppchenparadies ist jedenfalls geschlossen. In der ganzen Stadt: Im sonst unterschätzten Spandau zahlt man beim Wohnungskauf schon mindestens 3000 Euro pro Quadratmeter, bis zu 8000 Euro sind es in Mitte. Der Kudamm, der vor allem Käufer aus aller reichen Länder anzieht, ist mit knapp 18.000 Euro für Durchschnittsberliner völlig außer Reichweite. Selbst internationale Investoren halten Berlin mittlerweile für überteuert. Seit 2004 sind die Preise laut dem Guardian im Schnitt um 120 Prozent gestiegen. Allein im letzten Jahr legten Neukölln und der Wedding um über acht Prozent zu. Gekauft wird trotzdem. Hier ist es eben schön sicher, Verbrechen und Anschläge halten sich im Vergleich zu New York und Rio in Grenzen, von Naturkatastrophen bleiben wir vorerst auch verschont und…

Kultur ohne Künstler

An dieser Stelle wollte ich als weiteren Kaufanreiz die spannende Kulturszene in Berlin nennen. Aber wie lange kann es die noch geben? Das Problem ist, dass die mutigen, lauten und interessanten Kreativen, vor allem diejenigen, die sich als Freischaffende durchkämpfen und ihre Kunst gern in den öffentlichen Raum tragen – auch weil sie sich Räume für Ausstellungen, Konzerte, Theater und anderes nicht leisten können – aus den angesagten Bezirken vertrieben werden. Wohlgemerkt: Angesagt wurden die Bezirke ja dadurch, dass diese bunte Menge hier lebte… nun ja. Widersinnig, wie so vieles, wenn es nur noch ums Geld geht.

 

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Ein Beitrag geteilt von Katrin (@katri_nss) am Nov 19, 2018 um 12:41 PST

Bitte kein Umzug

Durch Verkäufe und hochwertige Sanierungen steigen die Mieten ins Unermessliche. Auch Eigenbedarfskündigungen sind keine Seltenheit mehr. Im Moment ist es ein Alptraum, eine neue Wohnung finden zu müssen: Massenbesichtigungen, Schmiergelder und unerfüllbare Bedingungen. Wenn du nicht ein bestes, regelmäßiges Einkommen vorweisen kannst, auf Kinder und Haustiere verzichtest, bist du meistens in der ersten Runde der Bewerbungen schon raus. Und die Mietpreisbremse ist nicht mehr als ein Spielzeug im Internet, mit dem du die Ungerechtigkeit abends mit Freunden bei einem Glas Wein bejammern kannst.

Pläne des Senats

Niemand auf den hohen Ebenen ist untätig, so prüfen einige Bezirke, wie sie ihr Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten besser nutzen können. Dazu soll ein Fond vom Senat eingerichtet werden, der es ermöglicht, nicht nur innerhalb der knappen Zwei-Monatsfrist von diesem Recht zugunsten einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gebrauch zu machen: „Der Fonds soll dazu dienen mit einem zeitlich größeren Vorlauf einen Weiterverkauf mit den üblichen Auflagen für einen verbesserten Schutz des bezahlbaren Wohnraums zu organisieren“, so  Neuköllns Stadtentwicklungsstadtrat Jochen Biedermann.

Vorbild: Neuseeland

Berlins regierender Bürgermeister Michael Müller will weitergehen und bestimmte Gebäude für ausländische Investoren sperren lassen. Allerdings stößt er bei dem Versuch, ein Modell, das in Neuseeland umgesetzt wurde, bei uns anzuwenden, auf Widerstand. Man kann leicht erraten, wer dagegen ist: die Immobilienwirtschaft. Ihr Gegenargument: Man darf ja niemanden diskriminieren beim Wohnungskauf… Ganz klare Logik, die aus politisch korrekten Gründen allen Diskussionen standhält. Das Geld hat eben auch in Berlin das letzte Wort?

 

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Ein Beitrag geteilt von Dörte Kleyling (@dk_picturebox) am Jul 28, 2018 um 7:37 PDT

Steine als Lösung

Nein, natürlich nicht. Es gibt auch Fälle, in denen man vor lauter Kampfgeist das Geld vertreibt. So wurde erfolgreich verhindert, dass Google Jobs (und Kommerz) in den Reichenberger Kiez bringt, in dem sogar langjährige Kreuzberger angegriffen werden, weil sie in ihre Läden investieren und nicht auf Schmuddel-Look stehen. Es fliegen Steine… auch in Kinderzimmer in Friedrichshain, wo Familien dachten, sie könnten der Wohnungsnot nur entgehen, wenn sie sich verschulden und selbst Eigentümer werden. Dient ein Stein wirklich dem Protest? Getroffen werden nämlich nicht nur Symbole, sondern auch Menschen.

Hilfe durch Demos

Komischerweise legen viele der Protestler (kommerziellen) Wert darauf, Computer von einem obstliebenden Großkonzern zu nutzen, einem alten Tennislabel zu neuem Ruhm zu verhelfen oder Markenturnschuhe zu tragen. Als ich noch in Kreuzberg lebte, galt Intoleranz als uncool. Das hat sich wohl geändert. Nun steht man unter dem Verdacht, ein Mitläufer oder Nutznießer zu sein, wenn man Zweifel an den Zielen und Methoden der Immer-auf-der-richtigen-Seite-Steher hat. Die Auswahl der Protestaktionen könnte noch optimiert werden: Wusstest du, dass die Deutsche Bahn laut Tagesspiegel wahlweise mit Immobilien mauschelt oder Grundstücke höchstbietend versteigert? Oder dass Berlin Grundstücke am Checkpoint Charlie verkaufen will, um sich dann teuer in die dortigen Immobilien wieder einzumieten? Wo sind die Plakate an allen Ecken und Enden der Stadt? Ok, genug provoziert, wir wollen die sehr breite Demo-Szene nicht noch weiter zerfasern. Gründsätzlich sind wir Pro-Weltverbesserer.

Raus aus Berlin

Bleiben wir beim Thema Wohnen… Wir können einfach mangels Barschaften und Sparkonten nicht mitmischen. Etwa 85 Prozent aller Berliner leben noch zur Miete, während Heuschrecken und Großinvestoren unter sich die letzten Freiflächen aufteilen. Teure Nobelwohnungen im modernen Einheitslook entstehen vom Westkreuz bis zum Ostkreuz. Slogans versprechen, dass man von den bodentiefen Fenstern aus Berlin von seiner schönsten Seite erleben könne. Das behaupten gut bezahlte Werber, die in ausgebauten Lofts am Paul-Lincke-Ufer wohnen und Berlin nicht gesehen haben, als es noch cool und günstig war. Übrigens ist nur Lissabon noch beliebter als Berlin auf dem internationalen Wohnungskaufmarkt. Wenn wir die Wahl hätten, würden wir natürlich dorthin auswandern. Da sind die Menschen freundlicher, das Klima besser, das Meer so nah… Berlin ist schroff, aber vielleicht auch nicht mehr lang: Denn die Ur-Berliner müssen ja schon nach Brandenburg fliehen, weil sie aus ihren viel zu günstigen Wohnungen vertrieben werden.

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