Wenn man am Wochenende früh aufsteht, sehr früh, dann muss das einen guten Grund haben. Meistens treibt uns die Aussicht auf einen wunderbaren, erholsamen Ausflug aus den Federn, dieses Mal ist es allerdings das Gegenteil: Wir machen einen Stand auf dem Flohmarkt. Für die Kinder ist es ein Tag voller Versprechungen. Endlich das alte Dreirad loswerden, um sich von dem viiiiielen Geld, das man dafür bekommt, ein cooles Rennauto mit Fernsteuerung zu kaufen. Sie hoffen auf die Geschäfte ihres Lebens und all unsere Erfahrung kann sie von dieser Hoffnung nicht abbringen. Nun gut, meine Freundin und ich ahnen, dass es anstrengend werden wird, draußen kündigt sich ein heißer Tag an. Vor uns stehen Kisten und Tüten – die Ware, die wir nun zum Auto schleppen müssen, dann zum Stand tragen werden, die wir sortieren und hängen und legen und vielleicht wieder nach Hause karren müssen. Meine Freundin bekam den Tipp, Kisten mitzunehmen, die man als erhöhte Unterlagen zur Warenpräsentation nutzen kann, auch Wühlkisten haben wir dabei, eine Decke für die Tischplatte, eine Wäscheleine und sogar Kleiderbügel.
Aller Anfang ist schwer
Wenig später stehen wir im ersten Schweiß gebadet, aber erleichtert, nach endloser Suche doch einen Parkplatz in der Nähe gefunden zu haben, in der Reihe der Wartenden. Gleich wird uns eröffnet, an welcher Bretterbude wir unser Glück versuchen dürfen. Wir wundern uns ehrlich gesagt über das Gedrängel, denn jeder wird einen Platz bekommen, schließlich haben wir uns doch alle vorher angemeldet. Als wir als Erste aufgerufen werden, obwohl wir ohne Ellenbogeneinsatz noch immer in der letzten Reihe stehen, werfen uns die Konkurrenten neidische Blicke zu. Am Stand angekommen, können wir unsere Ruhe nicht mehr halten: Professionelle Händler zerren den Kindern die Kisten aus der Hand, wühlen sich durch die Sachen, die wir schon abgestellt haben und geben sich keine Mühe, freundlich mit uns zu reden. Es ist ein Heuschreckenüberfall, aber er hilft uns, in die Rolle der knallharten Verkäufer zu schlüpfen. Mein Sohn ist den Tränen nah, weil seine Schätze als Schundware bezeichnet werden. Der Mann will den Preis drücken, klar, aber so nicht! Wie eine Löwenmutter verteidige ich Silberdosen, Spielsachen und Erbstücke gegen jeden billigen Vorwurf: laut und vehement. Das verschafft mir überraschend Respekt bei den anderen Profis, die mittlerweile unsere Kisten eigenhändig ausgeräumt haben.
Als der Markt endlich losgeht und die Besucher herbeiströmen, haben wir das Gefühl, schon einen Arbeitstag hinter uns zu haben. Neben uns schallt Musik aus einem Lautsprecher und ein Sektkorken gibt den Startschuss für die Standparty. Rechts von uns beobachtet man das mit Unwohlsein. Die Verkaufsprofis mit Gürtelschnallen und Handtaschen fühlen sich gestört. Wir haben ganz andere Sorgen: „Mama, mir ist langweilig!“ „Ich muss mal.“ „Wie lange noch?“ „Darf ich die Bücher doch lieber behalten?“ …unsere Kinder haben genug von dem Flohmarkt. Es ist zu eng hinter dem Tisch, der Spielplatz um die Ecke ist öde, wir sind nicht so schnell ausverkauft, wie gedacht. Schließlich ziehen sie los, um selbst über den Markt zu bummeln. Logisch verprassen sie dabei die Einnahmen der zwei Stunden, die sie am Stand durchgehalten haben. Wir nehmen es gelassen hin, verschafft es uns doch die Freiheit, die Beine auszustrecken.
Berliner Stereotypen
An uns ziehen die unterschiedlichsten Hauptstadtbewohner vorbei – Hippies, Hipster, hotte Partygänger vom Vorabend, junge Paare, alte Paare, Familien, Freaks. Bald können wir einschätzen, für wen wir uns vom Stuhl erheben sollten und wer nur seinen Redebedarf stillen will. Die Sammler sind die schlimmsten, ungefragt teilen sie ihr Fachwissen mit uns und jedem anderen. Komischerweise erweisen sich Touristen als Käufer, während sich die Hauptstädter als Schwätzer hervortun. Berliner, das sollte uns zu denken geben! Und galt früher, dass beim Shoppen die Frau entscheidet, hat die Emanzipation die Kerle zu echten Verhinderern heranwachsen lassen. „Wir haben doch schon ein Frühstücksservice“, heißt es da viel zu vernünftig oder: „Mäxchen braucht doch wirklich keine weitere Hose.“ Als ein Irgendwas-mit-Medien-Typ seiner Freundin nicht einmal den Plastik-Hai für einen Euro gönnt, der durch einen Fingerdruck nach vorn schießen kann, reicht es sogar meinem siebenjährigem Sohn: „Ich verkauf den nicht mehr, der ist viel mehr wert.“ Sehr gut, die nächste Boyfriend-Generation wird also bestimmt wieder großzügiger.
Neben uns überdeckt die Party mittlerweile die schlechten Geschäfte. Die Mädels verkaufen vor allem ihre eigenen Designer-Klamotten in Größe S. Die Zielgruppe ist entsprechend klein. Die dritte Flasche ist leer und die Preise sinken. Bei uns auch, denn ich möchte keine schweren Taschen zurück zum Auto tragen. Meine Freundin findet meine Kampfpreise allerdings bedenklich und will noch nicht mitziehen. So teilt sich unser Stand nun auf in Luxusware rechts, Spottpreise links. Die Kunden sind belustigt… und kaufen bei mir. Die Tochter meiner Freundin meint, die Preispolitik ihrer Mutter sei geschäftsschädigend. Dass ich selbstkritisch einräume, ein klares Verlustgeschäft zu machen, zählt nicht als Argument. Mein Sohn findet auch, dass Geld in der Hand besser sei als altes Spielzeug im Schrank. Er zieht mit einem Freund noch einmal über den Markt. Ich habe das Gefühl, dass der Tag auf diese Weise für ihn nicht sehr gewinnbringend wird. Zumindest war er öfter an anderen Ständen als an seinem eigenen. Mein bester Kunde wird dann der Mann meiner Freundin, der uns mit Kaffee und Snacks besuchen kommt. Natürlich hatte ich bei der ersten Wunsch-DVD gesagt, er müsse mir unter Freunden doch kein Geld dafür geben, am Ende bin ich froh, dass er es doch tut: Er kauft mir fast meine komplette DVD-Sammlung ab.
Erfahrungen und Tipps
Als wir nach abwechslungsreichen acht Stunden zusammenräumen, meint mein Sohn, dass wir ja noch genug Zeug hätten, um nächste Woche wieder auf den Markt zu gehen. Recht hat er, aber ich werde mich bemühen, daraus keinen Plan erwachsen zu lassen. Vielleicht gehen wir in einem halben Jahr wieder trödeln. Vielleicht. Wer es selbst versuchen möchte, sollte sich rechtzeitig anmelden, und immer jemanden dabei haben, der für kurze Zeit den Stand auch allein schmeißen kann. Wer wirklich hochwertige Ware hat, braucht Standvermögen oder sollte es lieber bei ebay-Kleinanzeigen versuchen. Auf dem Flohmarkt trifft man selten den Käufer, der bereit ist, einen realen Preis dafür zu zahlen. Außerdem solltest du Stühle zum Ausruhen nicht vergessen, Essen und Trinken mitnehmen, um die Einnahmen nicht an überteuerten Imbiss-Ständen wieder loszuwerden, und dir Pausen gönnen. Einen gestressten Flohmarktverkäufer will keiner sehen, schließlich ist Wochenende.